Die Botschaft Jesu

Ein „kleiner“ Auszug aus meinem Buch, das ich gerade schreibe, ein Gespräch über den Grund, warum die Menschen vor mehr als 500 Jahren so begeistert von Kreuzzügen waren. Es passt so schön zu Weihnachten, was ja angeblich der Geburtstag von Jesus sein soll, den wir gerade feiern. Also: Fröhliche Feiertage!

Onkel“, druckste Beatriz herum, „ich wollte mal mit dir über etwas reden, was mich schon eine geraume Zeit beschäftigt.“ Sie zupfte ein Fädchen von ihrer Tasche. Dann sah sie ihren Onkel an: „Hast du ein wenig Zeit für mich?“

Rodrígo nickte mit einem Lächeln, fasste sie unter dem Arm und zog sie mit sich: „Komm, wir gehen ein wenig spazieren. Es ist so herrliche Luft draußen!“

Sie schlenderten schweigend und langsam den kleinen Weg, der zum Wald oben auf dem Hügel führte, hinauf. Nach einer ganzen Weile sagte Beatriz versonnen: „Onkel, warum sind die Menschen so begeistert von den Kreuzzügen?

Ist es das, was du mit mir bereden willst?“ fragte Rodrígo und sah sie einen Moment lang von der Seite an. Beatriz spürte den Blick, sah aber weiter geradeaus in den Himmel. Sie hatte eine seltsame Scheu davor, das Thema zur Sprache zu bringen, aber sie kam nicht weiter und brauchte einfach die Denkanstöße, die der Onkel ihr schon so oft in verzwickten Situationen gegeben hatte.

Ich verstehe Cristos nicht“, sagte sie leise. „Ich kann nicht begreifen, wieso die Menschen glauben, dass es mit der Lehre Jesu zu vereinbaren wäre, wenn sie hingehen und andere Menschen töten. Eins der Gebote heißt: Du sollst nicht töten. Und was tun sie? Sie töten.“ Anklagend sah Beatriz jetzt ihren Onkel an. Sie waren stehengeblieben.

Cristos will das Kreuz nehmen?“ der Onkel war überrascht.

Nein, das wohl nicht. Aber er will, dass die Könige einen Kreuzzug ausstatten mit dem Gold, das er in Indien immer noch zu finden hofft. Und das ist, was ich nicht verstehe, und was er mir auch nicht wirklich begreiflich machen kann. Wieso geben Christen all ihre Habe, ihre Gesundheit und ihr Leben her für die Befreiung eines Grabes, dem es doch egal ist, ob jemand es besetzt oder befreit. Mir persönlich ist es völlig gleichgültig, ob einer zum Grab Jesu pilgern kann oder gerade nicht, weil die Machtverhältnisse es nun mal nicht zulassen. Ich weiß von Jesus, und wie er gelebt hat. Und darauf kommt es mir an, nicht darauf, vor irgendeinem Felsengrab zu stehen, wo doch geschrieben steht, dass unser Herr auferstanden ist. Warum töten Menschen für ein leeres Grab?“

Hast du schon einmal mit den Padres darüber zu reden versucht?“ wich der Onkel aus.

Ja, das hab ich, aber deren Gerede deckt meine Fragen immer nur zu. Ich bekomme nicht heraus, was ich wissen will“, erwiderte Beatriz.

Und da kommst du dann zu mir …“, lächelte der Onkel.

Ja, mit dir konnte ich bisher immer so offen reden, wie sonst mit keinem Menschen. Und du gibst mir auch immer etwas zum Nachdenken mit. Du redest nicht so leer wie die meisten.“ Schweigend gingen sie weiter.

Beatriz“, sagte der Onkel jetzt, „Beatriz, wenn ich dir sage, was ich denke, kann das für mich gefährlich werden, weil es nicht das ist, was die allmächtige Kirche hierzulande als rechtgläubig gelten lässt.“ Wieder schwiegen sie.

Onkel, ich verstehe nicht, wie du das meinst, aber eines ist sicher: Was wir hier bereden, das bleibt ganz gewiss unter uns. Ich werde dich nicht in Schwierigkeiten bringen, denn ich brauche noch ganz viele Denkanstöße von dir!“ Sie lächelte: „Verlass dich drauf, dass ich mit niemandem ein Wort über das hier reden werde!“ Beatriz legte die rechte Hand aufs Herz und hob die Linke: „Ich schwöre!“

Lächelnd nahm Onkel Rodrígo ihren Arm und hielt ihn fest. „Beatriz, es ist nicht so leicht zu verstehen. Die meisten Menschen missverstehen die Botschaft Jesu, so auch die Kirche. Das, was sie verbreiten, ist nicht das, was der Herr gemeint hat, nicht das, was er uns vorgelebt hat. Ich bilde mir wirklich nicht ein, die Botschaft Jesu ganz verstanden zu haben, aber so, wie sie sich mir darstellt, bedeutet es, dass Jesus einen spirituellen Weg gegangen ist. Er hat eine spirituelle Entwicklung durchgemacht. Er hat uns etwas vorgelebt, dem wir alle folgen können, wir alle können uns kraft unseres freien Willens entscheiden, uns ebenso wie er zu entwickeln. Aber statt dass die Kirche uns den Weg weist, wie es geht, haben sie die Botschaft – wie die meisten anderen auch – nicht verstanden und können daher gar keinen Weg weisen. Sie ackern im Außen herum, in der Welt, statt in ihrem eigenen Inneren. Spirituelle Entwicklung findet innen statt.“ Er klopfte mit der Faust auf seine Brust, auf das Herz, und hielt inne.

Du willst mir erzählen, dass die Kirche nicht weiß, was sie tut?“

Ja, in gewisser Weise ist es wohl so.“

Ich verstehe immer noch nicht …“ kopfschüttelnd ging Beatriz weiter.

Ein spiritueller Weg ist vor allem eine innere Entwicklung hin zu der Erkenntnis, wer oder was wir sind, weniger ein bestimmtes Handeln in der Welt. Jesus Bewusstsein veränderte sich im Laufe seiner Entwicklung derart, dass er sagen konnte: Ich und der Vater sind eins. Damit meinte er, dass er sich mit der inneren Welt, der göttlichen Welt, eins fühlte. Er konnte die Einheit fühlen, aus der wir alle stammen. Und als er starb, ließ er seinen Körper hier und sein Ego, das sind die vergänglichen, die sterblichen Anteile im Menschen. Das andere, das Unsterbliche, dessen er sich auf seinem Weg bewusst geworden war, konnte aus dem „Grab der vergänglichen Welt“ auferstehen und in eine andere Dimension eingehen, die man Himmel nennen kann oder unvergängliche Welt oder wie auch immer. Es ist die Dimension, aus der wir kommen, und in die wir wieder zurückkehren, wenn wir dieses Erdenleben hinter uns lassen.“

Sie blieben stehen. Onkel Rodrígo keuchte ein wenig. Er war nicht mehr jung und einen Berg besteigen, auch wenn es eher nur ein Hügel war, und gleichzeitig reden, das machte ihn kurzatmig. Beatriz sah hinunter auf ihre Heimatstadt Córdoba, die wunderschön in der Spätnachmittagssonne leuchtete. Sie liebte diesen Anblick der weißen Häuser im goldenen Sonnenschein.

Worauf willst du hinaus?“ fragte sie.

Sieh den Tempel im Neuen Testament einmal als Symbol an. Es steht für das alte, ichbezogene Bewusstsein, deinen irdischen Körpertempel, eben das, von dem du glaubst, dass du das bist. Nimm den Tempel einfach für dein Erdenleben als unsterbliche Seele in einem Körper. Jesus hat für dieses bewusste Sterbenlassen des Vergänglichen und die Auferstehung des Unvergänglichen dieses Tempelsymbol verwendet. Er brach sein altes Ichbewusstsein, das er durch die Inkarnation in einen sterblichen Körper erhalten hatte, und damit auch seine alte Leiblichkeit ab und baute einen neuen Tempel auf, ein neues Bewusstsein und einen neuen geistigen Leib, der sich im Einklang mit der göttlichen Welt befand. Er machte uns das vor, damit wir sehen, dass es geht, und wir es nachmachen können. Auch du kannst als der spirituelle Mensch, der du bist, aus dem Grab der materiellen Welt auferstehen. Du kannst es, wenn du alle ichbezogenen Anteile, die deine natürliche Spiritualität unterdrücken, auflöst. Man kann es auch mehr symbolisch ausdrücken: Du kannst aus dem Grab der materiellen Welt auferstehen, wenn du dieses Grab in deinem eigenen Inneren von den „Heiden“, also den irdischen Leidenschaften und Illusionen befreist.“

Du meinst also“, erstaunt sah Beatriz ihren Onkel an, „du meinst, die Menschen folgen einer inneren Sehnsucht, diese spirituelle Entwicklung endlich auszulösen, über die sie sich nicht einmal im Klaren sind, indem sie diese Sehnsucht nach Außen übertragen und auf ein äußeres Grab, einen äußeren Tempel, einen äußeren Feind richten? – Meinst du das?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann das kaum fassen.“

Ja, ich denke wirklich, sie ziehen los und bekämpfen die äußeren Heiden stellvertretend für die inneren, die sie nicht erkennen können.“ Onkel Rodrígo umfasste Beatriz: „Diese Welt ist eine Bühne, auf der wir ausleben und sichtbar machen, was in unserem Inneren ist, und was wir dort nicht erkennen können. Das scheint mir der Grund zu sein, warum wir in sterbliche Körper inkarnieren. Wir sind für eine Zeitlang Schauspieler auf einer Bühne und sehen uns an, was in uns ist und suchen, es zu verändern.“

Beatriz schmiegte sich an Rodrígos Schulter. „Das sollte die Kirche wohl lehren statt zu Kreuzzügen aufzurufen. Sie führen den Kampf noch im Außen und beweisen damit doch nur, dass sie nichts verstanden haben. So, danke, Onkel Rodrígo, jetzt ist mir das auch einigermaßen klar geworden. Und auch, dass man heutzutage bestimmt noch nicht über solche Dinge reden kann. Mir scheint, die Welt ist noch nicht so weit. Sie sind alle so damit beschäftigt, den Feind außen zu sehen, dass sie nicht erkennen können, dass es kein Feind ist, und dass das Äußere ein Spiegelbild des Inneren ist. Und wenn ich ehrlich sein soll, dann leuchtet es mir schon ein. Das, was du gesagt hast, ist logischer als alles, was die Kirche mir zu erzählen versucht … aber … irgendwie wirbelt alles in meinem Kopf herum. Ich muss wohl noch mal in Ruhe drüber nachgrübeln, denke ich.“

Komm, wir kehren um“, meinte Onkel Rodrígo lächelnd. Es machte ihm Spaß, mit Beatriz zu reden. Sie verstand schneller als andere und war offener für neue Gedanken.

Wie kommst du auf solche Sachen, Onkel Rodrígo?“ fragte Beatriz.

Wenn man so lange lebt wie ich, dann hat man Zeit, über alles gründlich nachzudenken“, schmunzelte Rodrígo.

Was weißt du über die Katharer oder Albigenser, wie man sie auch nennt?“ fragte Beatriz, der eine Parallele auffiel.

Die wurden im dreizehnten Jahrhundert ausgerottet, weil sie Dinge dachten und danach lebten, die der Kirche nicht gefallen konnten, weil diese Gedanken die Macht der Kirche erschütterten und vermutlich zum Einsturz gebracht hätten, wenn sich solches Gedankengut ausgebreitet hätte.“

Du sagst ausgerottet. Bist du sicher?“ fragte Beatriz lächelnd.

Nein, bin ich ganz und gar nicht. Wie könnte ich auch, ich kenne doch die Katharer nicht, die lebten vor rund zweihundert Jahren!“ lächelte auch Rodrígo.

Aber du denkst auch solche Gedanken, die die Kirche erschüttern. Wo kommen diese Ansichten her, Onkel Rodrígo?“

Kind“, Rodrígo sah Beatriz ernst an, „du weißt, dass die Inquisition allgegenwärtig lauert, ja?“

Darüber bin ich mir im Klaren, Onkel“, entgegnete die junge Frau, „aber wie kommt man auf solche Gedanken, wenn die Vordenker alle ermordet wurden?“

Diese Vordenker haben einfach das universale Wissen angezapft, über das jeder einzelne Mensch verfügen kann, wenn er will. Man kann drauf kommen, wenn man nach der Wahrheit sucht. Das haben die Katharer getan, und das tun auch jetzt noch Menschen und werden es wohl immer tun, bis eines Tages am Ende der Zeiten die Wiederkunft Christi stattfindet. So wurde es vorhergesagt seit alters her.“

Wiederkunft Christi? Was bedeutet das, welche Symbolik verbindest du damit?“

Es werden viele Menschen aufkommen, die alle die Christus- oder Erlöserenergie durch ihren Körper und ihren Geist wirken lassen. Das ist die Wiederkunft Christi. Und das bedeutet, dass eine neue Ära auf der Erde beginnt, eine neue Erde entsteht.“ Sie waren jetzt wieder beim Haus des Onkels angelangt. Beatriz blieb am Gartentor stehen. „Meinst du, das bedeutet das Ende dieser Welt? Ist das mit der Endzeiterwartung gemeint, dass diese Erde so nicht weiterbestehen wird und deshalb eine neue entsteht?“ fragte sie gespannt.

Ja, ich vermute es mal. Mit Jesus begann ein neues Zeitalter, und diese Zeitalter ändern sich in einem gewissen Rhythmus, nämlich ungefähr alle zweitausend Jahre. Darum brauchst du dich nicht vor dem Ende der Welt fürchten, es wird noch ein paar hundert Jahre dauern, und auch dann werden die meisten Menschen, die noch immer ihrem Verstand folgen und außen suchen, es gar nicht wahrnehmen, weil die Veränderungen innen stattfinden.“ Rodrígo lächelte sie an. „Aber solange …“, er legte den Finger auf die Lippen, „… pst, nichts verraten!“

Beatriz nickte und lächelte. Sie zog seinen Hals ein wenig zu sich herunter und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke, Onkel Rodrígo!“ Dann wandte sie sich um und lief nach Hause, denn es wurde bereits dunkel.

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